
Katmandu
26.09.05
Endlich sitzen wir im Flugzeug nach Doha in Qatar. Dort werden wir in ein anderes
Flugzeug umsteigen & nach Katmandu fliegen. Zuerst treffen wir jedoch auf
einen bunten Haufen Touristen und weniger bunten Scheiche. Nach zweieinhalb
Jahren von Träumen erfüllt, voller Planungen & mit grosser Spannung.
Als wir in Katmandu ankommen zieht sich die Feder unserer Spannung mehr und
mehr zusammen. Uns fasziniert diese Stadt. Sie ist recht laut, riecht und schmeckt.
Wir wollen mehr. Ein Besuch von Baktapur zeigt uns dann, dass die Zeit hier
anders laufen kann als in Katmandu. Wir fühlen uns, auch bei den Besuchen
vieler Tempeln und Stupas, in der Zeit zurückversetzt. Natürlich
sind wir nicht die einzigen Zeitreisenden. Stört auch nicht. Die Tage
hier geniessen wir in vollen Zügen und sind froh, dass wir einiges, auch
Discos, gesehen und erlebt zu haben. Doch unsere Spannung wächst. Der
Flug nach Lhasa steht bevor. In diesen drei Tagen hat Katmandu und seine Umgebung
unsere Seele wie ein Rausch durchflutet.
Lhasa
30.09.05
Im Flug Katmandu - Lhasa geniessen wir die freien Sitzplätze & rennen
von einer Fensterseite zur anderen, damit wir nichts von dem um & unter
uns verpassen. Wir fliegen auf ca. 9000 m, doch Berge stehen neben uns. Sie
rauben uns den Atem & jegliches Zeitgefühl. Bei dem schönen Wetter
trifft unser Verstand mit voller Wucht auf die Grate & Wände, auf
die Gletscher und Gipfel des Himalayas. Entzückend. Mit grossen Augen
betreten wir danach Chinesischen Boden. Alles wirkt belustigend, weil neu.
Weil wir uns riesig darauf gefreut haben. Tsering Tashi empfängt uns herzlich.
Er muss auch, denn schliesslich ist er unser CTMA (Chinese Tibetan Mountaineering
Association) - guide & begleitet uns für die nächsten fünfeinhalb
Wochen. Andere guides, die auf andere Touristen warten begrüssen uns auch
und fragen ob wir die Bergsteiger sind die eine Erstbesteigung machen wollen.
Mit ja geantwortet, machen sie uns gleich den Vogel und lachen alle. Tsering
Tashi ist demnach ein kleines Plappermaul. Ausserhalb des recht jungen Lhasa
- Airport empfängt uns Mrs. Dawa mit den berühmten Katas (Seidenschal)
die sie uns um den Hals legt. Mrs. Dawa ist die Mutter der Organisation für
unseren Trip in Tibet und ist auch diejenige, die Druck gemacht hat, damit
unser Permit für den Chuchepo zustande kam. Komisch wirken all die wertvollen
Jeeps hier. Schmiergeld - Jeeps der Regierung und Jeeps der Trekkingorganisationen
fahren fremd anmutend umher, in diesem Land, dass so wenig hergibt. Aber wir
werden noch des besseren Belehrt. Wir fahren am Potala - Palast vorbei, dessen
prachtvolle Erscheinung uns dem Erdboden rsp. dem Jeepboden gleich macht. Dieses
wunderbare Gebäude wirkt vielmehr wie eine viel sagende Erscheinung. Als
wir in den kommenden drei Tagen in Lhasa u.a. den Potala - Palast besuchen,
erzählt er uns die Geschichte des Buddhismus, der Tibeter & man fühlt
noch das zittern der Wände, als Lhasa bei den Invasionen (durch Sir Francis
Younghusband und den Chinesen) unterzugehen drohte. Doch diese Stadt lebte & lebt
weiter. Lhasa fehlt das Pulsieren vieler toller Städte. Zum Glück.
Die Stadt wirkt wie ein Vorposten einer uns fremden Welt. Eine Welt der Weite & Einsamkeit,
voller gewaltsamer Vergangenheit & schwieriger Zukunft. Ein Hauch wilder
Westen. Es ist so beeindruckend, dass wir regelmässig schaudern. In dieser
Zeit lernen wir auch Jo Kippax und Sean Waters kennen. Mit ihnen hatten wir
im Vorfeld Korrespondenz geführt. Nun treffen wir sie endlich und erfahren,
dass sie auch ein Permit bekommen haben, für einen Berg mit dem Namen
Birutaso, ca. 20 km von unserem anvisierten Berg entfernt.
Ins Basislager
(BC)
Am 02.10.05, nach dem Überfahren des Pa-La (Pass von 5000 m Höhe),
ca. 4 h von Lhasa entfernt & der Fahrt entlang eines Zuflusses des Yarlung
Tsangpo erreichen wir das kräftige Grün der regenreichsten Provinz
von Tibet; Gongbo (Kongpo). Die Provinzhauptstadt Gyamda ist wunderbar hässlich.
Dort decken uns mit Chinesischen Schleckereien ein. Unter anderem mit einem
fürchterlichen, synthetischen Schnaps & Bo-Peng (Kaugummi). An diesem
Abend erreichen wir eine Art Honeymoon Anlage für landeigene Touristen
am Draksum Tso (Lake Basong, Lake Basum und Basum Tso sind die gebräuchlichen
Namen). Es regnet in strömen. Nach einem Besuch des Klosters, welches
auf einer Insel im See steht, fahren wir in Drukla-Shang vorbei & ins Drukla-Phu
(Tal des Flusses Drukla). Mancherorts spriessen Granitwände aus dem flachen
Talgrund, wo die Drukla vor sich hin mäandriert. Ganze Bastionen aus Granit
lassen unsere Köpfe aus dem Jeep baumeln. Die Spannung steigt. Wir haben
keinen blassen Schimmer wie ewig es noch bis Punkar ist, auch Tsering Tashi
nicht. Da die ‘Strasse’ den Fahrzeugen alles abverlangt & wir
langsam vorwärts kommen, macht unser Truck in Bah kehrt, um von einem
tauglicheren Truck abgelöst zu werden. Hier treffen wir das erste Mal
auf Ningma, einem einheimischen Tierarzt. In dieser Nacht in Bah treffen unser
Koch, Tashi Tundrup & der Truckfahrer, Ngawang ein. Die ‘Strasse’,
dieses holprige, steinige & schlammige Monster würde gerne unser Fahrtrupp
verschlingen, doch mit vereinten Kräften schaffen wir es an nächsten
Tag nach Punkar, wo wir zum ersten Mal campieren. Dies ist auch was wir für
die nächsten viereinhalb Wochen machen werden. Es regnet. Das ganze Dorf
begutachtet uns. Wie die Tiere im Zoo - viele Augenpaare verfolgen jede unserer
Bewegungen - essen wir die herrlichen Mahlzeiten, die Tashi Tundrup für
uns zubereitet hat. In unserem Essenszelt fühlen wir uns wie Napoleon
und gleichzeitig wie Affen im Zoo. Wir geben alles. Am nächsten Tag steigen
wir alleine auf, um einen geeigneten Lagerplatz zu finden. Wir treffen nach
ein paar Stunden in Belung (der versteckte Ort) auf eine Familie, dessen Vater
ein Mönch ist. Belustigt beiderseits geben wir mit Händen und Füssen
zu verstehen, dass wir auf den Chuchepo möchten. Tashi Wangdruk (der Mönch)
warnt uns mit eindrücklichen Gesten (wir alle lachen uns kaputt) vor den
Bären, dem so genannten Tom. Von nun an gehen wir rufend, schreien & allgemein
krach machend weiter. Wir tauchen in einen Dschungel ein. Das Gelände
ist völlig daneben; Büsche, Dornen, dichter Koniferen- & Rhododendronwald
verderben uns den Tag. Zuhinterst im Tal versperrt uns eine steile Flanke den
Weiterweg. Auf der Russischen Karte schaut die Welt völlig anders aus.
Und da wir dieser Karte vertraut haben, kehren wir etwas enttäuscht um.
Zumindest wissen wir bescheid, wo wir das BC etablieren; 150 m vom Haus der
Mönchsfamilie entfernt. Beim Abstieg nach Punkar treffen wir per Zufall
Jo & Sean im Gebüsch. Mit ihnen gehen wir das Gongphuk - Kloster besichtigen,
dort wo sie ihr BC haben werden. Von Pferden wird dann am nächsten Tag
all unser Plunder ins Belung getragen.
In den Bergen
Umgeben von einer einzigartigen Szenerie, beginnen wir uns an die neue Lebensweise,
Höhe & Umgebung zu akklimatisieren. Zum ersten Mal kriegen wir
den Traum von einem Berg zu Gesicht. Tsering Tashi hat beiläufig herausgefunden,
warum keiner der Einheimischen den Berg Chuchepo kennt; Er heisst in Wirklichkeit
Chiewchukpo, was soviel wie reicher Vogel bedeutet. Es hätte uns erstaunt,
wäre dieser Berg keine Gottheit & kein Heiliger. Äusserst
dominant & von anfänglichen Hemmungen behaftet, sich zu zeigen,
steht er nun da & verblüfft uns. Stolz, fast etwas überheblich
und wie wir später erfahren werden, auch etwas zickig. Das winzige
Kloster Gongphuk kriegt eine Visite von uns. Es wirkt wie ein Familien-Ausflug:
Tsering Tashi, Tashi Tundrup, Tashi Pemba, Ngawang, Gosang, Tschenga, Wangdruk
und wir beide. Wir tauchen in die Spiritualität dieses Ortes ein und
fühlen uns geborgen. Am nächsten Tag lassen wir uns von ortskundigen
Einheimischen unter anderem von Ningma, einen ‘Weg’ durchs
Gehölz frei hacken. Doch die Dornen stechen immer noch. Die Spannung
wächst immer noch. Wir etablieren das bear-deposit, unser Materiallager
auf 4250 m. Was ist wohl hinter diesem Aufschwung? Wie weit ist es bis
zum Gletscher? Wie müssen wir vorgehen? Unser kleines zwei - Personenteam
windet sich durch die Probleme und Hürden. Die Herausforderung wird
nun aktuell wie die Nachrichten um 19:30 in der Schweiz. Durch die kleinen
aber feinen Ausflüge ins Gehölz lernen wir mit dem Wald umzugehen
und gewöhnen uns an immer grössere Höhen, wobei wir immer
ein bisschen mehr Material im bear-deposit lagern. Am
13.10.05, nach zwei Tagen in denen wir die Seele und den Körper baumeln
lassen, setzen wir zur nächsten Etappe an; das Etablieren des vorgeschobenen
Basislagers (ABC) - unser letztes fixe Lager auf 4650 m. Mit viel Material & noch
mehr Motivation steigen wir auf, installieren Fixseile, die uns relativ sicher
unserem Ziel näher bringen. Nach zwei Tagen krampfhaftem, aber durchaus
(als Erfahrung) wertvollem durch-die-Büsche-wühlen, finden wir einen
idealen Platz für unser kleines Zuhause. Die Wände unseres Schlafzimmers
sind 1 mm dick & unser Wohnraum ist so weit wie unser Auge reicht. Nach
einem langen Abstieg, eineinhalb Tage Erholung & gemütlichen Beisammenseins
mit unserem Team, steigen wir am
16.10.05
endlich mit unserer Gletscherausrüstung und Verpflegung für sieben
Tage auf. Wild röchelnd, mit dem vielen Gepäck am Rücken, kommen
wir dem ABC näher, doch die Sonne ist schneller. Wir steigen die buschige,
natürlich auch dornige Moräne im Licht des fast vollen Mondes ab & erreichen
unser Tagesziel. Der nächste Tag bringt genau das, was wir wollen; Wir
steigen über einen Gletscher auf & setzen Fuss in diese völlig
unberührte und jungfräuliche Landschaft aus Schnee, Granit & Eis.
Erst jetzt fühlen wir uns völlig im Element. Die ganze Umgebung,
das Gehen als Seilschaft, die Freiheit, draussen zu sein an solch einem Ort,
brennt sich in unsere Sinne ein. Unser Ziel auf diesem Ausflug ist es, den
Südanstieg des Chiewchukpo zu erkunden. So umgehen wir den Berg um seinen
Rücken anzuschauen. Wie so oft haben wir keine Ahnung was uns erwartet.
Nach einem deftigen, energiereichen Frühstück, gehen wir weiter den
Gletscher hinauf & stossen bald auf eine Spaltenzone, die uns nicht so
recht durchlassen will. Für 200 m Luftlinie benötigen wir 4 h. Es
erscheint uns lächerlich, dieses Zickzack, das Gehen & Kraxeln über
Abgründe aus Eis. Wir stellen beim Aufsteigen fest, dass unsere Akklimatisierung
gut ist & dass die Temperaturen 10 - 15°C wärmer sind als erwartet.
Das Wetter war schon immer schlecht im Westen, nur einige Kilometer von uns
entfernt hinter einer niederen Gipfelgruppe, doch nun überziehen graue
Wolken den gesamten Himmel. Heute sind wir dank dem Eisbruch nicht sehr weit
gekommen und errichten unser kleines Lager auf 5100 m, wo wir bei Anbruch der
Nacht einen sagenhaften Sonnenuntergang erleben dürfen. Am nächsten
Morgen gehen wir weiter und tauchen immer wie tiefer in diese Gletscherwelt
ein. Was wir erblicken überwältigt uns im tiefsten Innern, gehen
wir doch durch diese fremde Landschaft, die alles andere vergessen lässt.
Unsere Sinne sind geblendet und verwirrt, da wir wissen, dass wir mit allerhöchster
Wahrscheinlichkeit die ersten Menschen sind, die ihre Körper durch den
hiesigen Sitz der Götter schieben. Nach Stunden erreichen wir einen Pass,
von dem aus wir den Weiterweg nicht mehr in betracht ziehen. Es fehlt uns an
der Zeit und am guten Wetter um den Südanstieg zu versuchen. Da, in dieser
versteckten Welt, rührt die Wetterküche ohnehin täglich neue
Suppen an. Alsdann wir uns entscheiden, einen ca. 5800 m hohen Gipfel, ohne
Namen und auch bei den Einheimischen völlig unbekannt - da man ihn vom
Tal und seinen Anhöhen nicht sieht, anzugehen, klappt alles gut. Wir campieren
nur 300 m unter der geschätzten Gipfelhöhe ‘unseres’ Alternativprogramms.
Doch der Morgen bringt schlechtes, faules Wetter. Ohne Anhaltspunkt beträgt
die Sicht null Meter. Ein komplettes Whiteout. Als stünde man mit 15 cm
vor einem flimmernden, rauschenden Fernseher. Da man keinen Horizont hat, der
Untergrund weich ist, könnte man es auch damit vergleichen, durch einen
stockfinsteren Raum auf einer Matratze zu gehen, mit dem Unterschied, dass
unser jetziger Raum in weissem und grellem Licht steht. Es steht leider ausser
Frage, dass wir den Berg besteigen. Blind tasten wir uns Kilometer für
Kilometer, manchmal mit Hilfe des GPS vor. Wir versuchen die grosse Spaltenzone
auf den Randfelsen zu umgehen, müssen aber dann doch wieder mitten ins
Getümmel dieser Gletscherfallen. Der restliche Weg zurück ins ABC
wird zur Unterhaltung; beide wir lieben die raue Natur, geniessen das Wetter
in vollen Zügen, auch wenn es uns zur Umkehr gezwungen hat. Einen Tag
darauf, zurück im BC erhalten wir Besuch von Jo und Sean, von Gosang und
Ningma. Die Zeit mit ihnen ist eine Bereicherung. Doch genau diese Zeit rennt
uns davon. Wir wollen noch unseren letzten Versuch, Chiewchukpo zu erreichen,
sobald wie möglich starten.
23.10.05
Nach eineinhalb Tagen steigen wir erneut auf ins ABC, im Bewusstsein, dass
dies das letzte Mal sein wird. Die Routine, durch das Gebüsch zu gehen,
macht es uns etwas einfacher. Der vorher gefallene Schnee ist im ABC wieder
geschmolzen. Im Klaren darüber, dass dies unsere letzte Chance ist, steigen
wir erneut den Gletscher auf & biegen diesmal nach Nordwesten und nicht
wie beim ersten Besuch nach West-Südwesten. Wir gehen diejenige Seite
an, die uns seit zweieinhalb Jahren ruft. Chiewchukpo zeigt sich von dieser
schönsten Seite. Er ist die Perfektion eines Berges. Von Couloirs durchzogener
Granit türmt sich vor uns auf. Die Ästhetik übertrifft sogar
die des Potala ohne weiteres. Mutter Natur hat sich wohl die Hände wund
gerieben um diesen makellosen Berg zu designen. Das Wetter ist wunderbar, es
dürfte sogar etwas kälter sein. Die Nacht verbringen wir zwischen
den Spalten auf einer Höhe von 5050 m. Es geht konstant ein leichter Wind
aus Westen. Wir freuen uns auf den bevorstehenden Tag, denn die Zeichen stehen
gut. Wieder einmal lässt uns die innere Spannung zucken. Am Morgen des
26.10.05
eine leichte Ernüchterung – das Wetter hat sich gewendet. Die Sicht
ist schlecht, es schneit leicht und ist mit ca. 0°C recht warm. Wir zögern
ein wenig und entscheiden uns dann trotzdem auf zu steigen. Während wir
an Höhe gewinnen, verbessert sich das Wetter und wir kriegen Sonnenschein,
der in uns frischen Aufwind erweckt. Die Chancen stehen wieder besser, doch
langsam nagen die Umstände an unseren Nerven. Mit jedem Höhenmeter
den wir gewinnen, nimmt die Neuschnee-Menge zu und verunsichert uns erheblich.
Wir gehen trotzdem weiter. Als wir zum wiederholten Mal einen Aufschwung besteigen,
wird die Situation kritisch. Die einigen wenigen Durchschlupfe, die uns weiter
hinauf bringen würden, sehen alles andere als Vertrauen erweckend aus.
Das Restrisiko wird allmählich unberechenbar und zu hoch. In Sprungweite
des Chiewchukpo halten wir eine Besprechung, nur noch 1000 m vom Gipfel unserer
Träume entfernt. Die Spannung, die nicht nur unsere Motivation seit geraumer
Zeit gefüttert hat, bricht in einem Getöse zusammen. Wir sehen uns
gezwungen um zu kehren. Perplex sitzen wir auf unseren Rucksäcken. Die
Lawinengefahr ist eine zu grosse Bedrohung geworden und löst in uns Wellen
von Enttäuschung aus. Beide wir sitzen und starren in einer Apathie und
lassen die Zeit an uns vorbei gehen. Diese zermürbende Zerreisprobe lässt
die Motivation in die tiefste Spalte stürzen. Zwei Stunden vergehen, ehe
wir langsam beginnen ab zu steigen. Sobald wir im Abstieg begriffen sind, schreiten
wir mit flotten Schritten hinab, regelmässig zurückblickend. Trauer
begleitet uns in einem aufkommenden Sturm. Dieser zeigt uns sehr bald und deutlich,
dass es die richtige Entscheidung war, ins ABC hinunter zu gehen.
Es wird dunkel um uns und die Umgebung wirkt Apokalyptisch. Auch in uns findet
eine kleine Apokalypse statt. Schliesslich haben wir einen Grund dafür,
den Kopf hängen zu lassen. Chiewchukpo will uns nicht in seiner Nähe.
Immer wirft er mit dem Wetter um sich um uns zu verjagen.
Das Herz ist schwerer als der Rucksack. Wir erreichen das ABC, wo wir eine
regelrechte Fressorgie feiern, da wir nun zuviel Verpflegung bei uns haben.
Was wir nicht essen können opfern wir den Tieren, wer weiss, vielleicht
können wir auf diese Art Chiewchukpo umstimmen, damit er für ein
weiteres Mal bei besserer Laune ist. Am nächsten Morgen gibt es im ABC
noch einen kleinen Zwischenfall mit Gas, wobei eine Stichflamme in der dünnen
Luft züngelt und uns beide etwas verblüffen lässt. Doch in der
gleichen Minute, sind wir mit dem Kopf wieder beim Abbauen des ABC. Das Wetter
hat hier ca. 30 cm Schnee deponiert, weiter oben sind es mehr. Zum Glück
können wir nun in die Sicherheit des BC absteigen, doch ehe wir dort ankommen,
steht uns noch einiges bevor. Mit der Hälfte unseres eigenen Körpergewichts
steigen wir über schneebedeckte Blöcke, wühlen uns durch Dornen
und Rhododendren bis wir die Steilstufe erreichen. Hier müssen wir in
mühsamer Arbeit die Fixseile abräumen, was zu manchem Zeitpunkt nicht
gerade ungefährlich war. Zurück im Bewusstsein sind auch wieder die
Bären und so rufen wir durch die Dämmerung. Es ist eine Wohltat zu
schreien und rufen, denn damit löst sich die Schwere im Herzen besser.
Es ist Nacht geworden als wir bei unserem bear-deposit angelangen, doch alle
Fixseile sind ausgehängt und den gefährlichsten Teil haben wir hinter
uns. Und mit den Bären werden wir nun locker fertig. Schreihals im Doppelpack
durch die Nacht im finsteren Gehölz. Eine kleine Lampe auf dem Kopf und
Erdrückt von der Last des Rucksacks, der seit über zwölf Stunden
auf dem Rücken sitzt. Trinkwasser ist schon lange alle. Doch das Ende
naht. Nach Mitternacht sehen wir die Lichter im BC und tauschen Rufe aus. Wir
fühlen uns, als würden wir nach Hause kommen. Nicht anders werden
wir empfangen und Tashi Tundrup kocht uns eine leckere Mahlzeit. Bis spät
in die Nacht hinein sprechen wir über die vergangenen Tage und unsere
sowie ihre Gefühle. Da unsere Staff im BC auch 20 cm Schnee hatte und
sogar noch ein Tunnelzelt kollabiert ist, hatten sie sich reichlich Sorgen
um uns gemacht. Wir waren alle froh einander zu sehen.
Mit der CTMA in Lhasa, wurde vereinbart, dass wir am 02.11.05 von Punkar abfahren,
was bedeutet, dass am 01.11.05 unsere Fahrzeuge eintreffen werden. Bis dahin
haben wir noch vier Tage in denen wir alle zusammen Karten- oder Würfelspiele
bestreiten, Müll sammeln, diskutieren, lesen, essen, lachen und die Landschaft
geniessen. In den Nächten gibt es nun tiefen Frost, die Mönchsfamilie
hat ihr Übergangslager bezogen, wo wir sie besuchen und viel Buttertee
trinken, auf dessen Geschmack wir gekommen sind. Der Schnee bleibt nun liegen
und Orion zeichnet sich am Firmament ab. Ganz langsam kehrt der Winter ein
im Belung. Am
31.10.05
verlassen wir diesen wunderbaren Ort, der uns soviel gegeben hat, unser Shangri-La.
Wie von einer Hand werden wir zurückgehalten und es dauert lange, bis
wir die Sicht zum Belung wo wir nun für vier Wochen gewohnt haben, abbrechen.
Ein Teil von uns bleibt dort und dafür haben wir im Herzen einen Teil
von Belung mitgenommen. Zum Abtransport unseres gesamten Materials, werden
weniger Pferde benötigt. Ningma und Gosang, die Söhne Tashi Wangdruks
packen mit an, sei es beim Zeltabbau oder Aufbau oder beim Führen der
Pferde. Auf dem weg ins Drukla-Phu treffen wir zum letzten Mal auf Tashi Wangdruk
und Tschenga, wobei wir uns gegenseitig alles Gute wünschen und hoffen,
dass wir uns wieder treffen mögen. Zurück in Punkar tauchen wieder
all diese freundlichen Gesichter auf und auch das erste Bier...
Weg zurück
In Punkar nutzen wir einen vollen Nachmittag für einen ausgedehnten Spaziergang.
Wir besuchen einige Zeugnisse eines Kampfes zwischen einer Gottheit, Ling Geser
Gyalpo und einem Teufel, Dhue Archung Gyalpo. Auch mit den Einheimischen verbrachten
wir eine wertvolle Zeit und wurden unter anderem auch von Tschenga und Wangdruks
Tochter in deren Haus eingeladen, wo trinken von viel Buttertee angesagt ist.
Am Ende dieses Tages und nach einer langen Fahrt treffen zwei Fahrer der CTMA
ein, um uns zurück nach Lhasa zu bringen. Die Zelte sind am nächsten
Tag in Windeseile und klirrender Kälte abgebaut. Der Abschied fällt
schon wieder sehr schwer... Dafür ist die Fahrt angenehmer, da herrliches
Wetter herrscht, der Boden pickelhart ist (kein tiefer Schlamm mehr) und wir
flott vorankommen. Der Pa-La und seine Umgebung zeigen sich im Winterkleid
und verzaubern jeden Erblicker. Noch am selben Tag fahren wir spät in
Lhasa ein und sind ein wenig froh, bald wieder in den Genuss der Zivilisation
zu kommen. Ein richtiges Bett und eine richtige Dusche sind die Magnete und
lassen nicht lange auf sich warten. Die wenigen Tage nutzen wir um kleine Einkaufe
zu erledigen und unsere Rückreise zu organisieren. Wir nutzen auch die
Gelegenheit und gehen alle zusammen Fondue essen, welches unsere Staff in vollen
Zügen geniesst. Doch immer dieser doofe Abschied, der immer kommt. Alle
sind sich sicher, dass es irgendwann wieder ein Zusammentreffen geben wird.
Die Strassen führen uns am Yarlung Tsangpo entlang nach Shigatse, der
zweit grössten Stadt Tibets, die mit lebendigen Strassen interessiert.
Nach einer Übernachtung fahren wir nach Tingri. Auf dem Weg sehen wir
unter anderem Chomolungma (Mt.Everest), welche den Horizont zu dominieren scheint.
Die Strasse verwandelt sich zu einer Schotterpiste, was aber nicht bedeutet,
dass man langsamer fahren muss. Es wird ein bisschen gerast, dafür sind
die Foto-Pausen öfter.
Die Landschaft verwandelt sich zu einer Wüste. Das Tal in dem wir fahren
ist weit und offen, die Berge sind sanft und die Farben reduziert, so dass
feinste Nuancen sichtbar werden. Die Nacht in Tingri ist kalt, sternenklar
und der erwachende Tag scheint spektakulär zu werden. Heute fahren wir über
den Himalaya. Nach zwei sehr abwechslungsreichen Tagen zwischen den Höhen
Tibets und dem dichten Blätterdach in den Tälern Nepals, haben uns
die lauten, hupenden Gassen Katmandus wieder. Gebührend lassen wir diese
grossartige Reise ausklingen.